Die sozialen und ideologischen Grundlagen verschiedener Typen von Solidarität

Aktivität: VorträgeVortragScience to Public

Beschreibung

Problemstellung mit Anschlüssen zum Thema des Tracks In der Literatur aber auch in sozialen Bewegungen und Protesten kommt Solidarität eine vieldeutige aber auch oft unklare Bedeutung zu. Es wird als spezifische Haltung oder Einstellung, eine Art von Handlung oder soziale Kraft angesehen, als etwas gesellschaftlich relevantes explizit angestrebt, aber auch als überkommenes oder hinderliches abgelehnt. Ganz gleich in welcher Form, Solidarität wird in den verschiedensten Situationen, Auseinandersetzungen und Konflikten hervorgebracht und verwirklicht – bei der Errichtung und Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen im Sozialbereich, zur Stärkung von Nachbarschaften, Gemeinschaften oder „sozial verletzlichen“ Gruppen und ist auch in verschiedene sozialstaatliche und Einrichtungen des Gesundheitssystems eingeschrieben. Letzteres wenn es das Ziel ist, die individuellen Kosten und Risiken, durch eine Verteilung dieser über eine größere Anzahl von Personen, zu reduzieren. Solidarität ist aber auch eng mit der Entstehung und Geschichte der Arbeiter:innenbwegung verknüpft. Laut Große-Kracht, wurde er in der französischen Arbeiter:innenbewegung in der Mitte des 19. Jahrunderts gegen den Begriff der Fraternität in Stellung, nachdem die gewaltsame „Niederschlagung proletarischer Aufstände“ (2017, 63) durch die vormals bürgerlichen Verbündeten und die uneingelösten Emanzipationsversprechen die engen Grenzen „bürgerlicher Brüderlichkeit“ sichtbar machte. Sei es als Handlung, Haltung, verfestigt in Institutionen oder als Element sozialer Bewegungen, Solidarität liegt ein Moment der Gruppenbildung und des Ausschlusses zugrunde. Für die Arbeiter:innenbewegung habe der Solidaritätsbegriff die Möglichkeit geboten, den vorhandenen materiellen Ressourcen der Besitzer*innen von Kapital und Produktionsmittel, über geteilte Interessen und wechselseitige Abhängigkeiten innerhalb der Arbeiter:innenklasse, eine soziale Ressource entgegenzustellen (Große Kracht 2017, 60ff). Dient hier die Gruppenbildung über Solidarität der Kompensation sozialer Ungleichheiten, kann diese aber auch zur weiteren Stärkung eigener, „etablierter“ Gruppen gegenüber schwächerer „Außenseiter“ genutzt werden, worauf Elias und Scotson (1993) hinweisen. Es kann dazu genutzt werden, Zugang zu national- und sozialstaatlichen Ressourcen zu verhindern, indem er an Gruppierungsmerkmale gebunden wird die diskriminierende Muster der Exklusion und Inklusion erzeugen (Lessenich 2012; Leibetseder 2016; Schadauer u. a. 2019). Denn Solidarität ist auch immer an die Frage gebunden, wer was bekommen solle und warum (van Oorschot 2000), was dem widerspricht, was von Große Kracht in der frühen Arbeiter:innenbewegung als solidarisches Ideal der Gleichwertigkeit der Menschen über alle Klassen hinweg gesehen wird, entgegen steht. Solidarität lässt sich damit nicht auf eine binäre Form, Solidarität oder keine Solidarität, reduzieren. Neben einer universellen, alle Menschen prinzipiell einschließenden, kann sich Solidarität auch selektiv nur an bestimmte Gruppen von Menschen richten und andere aktiv ausschließen. Der Beitrag geht deswegen der Frage nach, worin sich eine universelle von einer exkludierenden Solidarität und beide von einer Abwesenheit von Solidarität unterscheiden lässt und welche sozialen Kontexte unterschiedliche Typen bedingen. Fragestellung und Ansatz Dieser Frage soll sowohl konzeptuell als auch empirisch nachgegangen werden. Aufbauend auf eine selektive Auseinandersetzung mit der umfassenden Literatur zum Begriff Solidarität, wird die Operationalisierung der drei Solidaritätstypen (exklusiv, universell, abwesend) wie sie für eine quantitative Untersuchung eingesetzt wurde, dargestellt und diskutiert. Für die Operationalisierung wurde dabei nicht ein Aspekt von Solidarität alleine berücksichtigt, sondern vier Dimensionen – Art der institutionellen Solidarität, nationalstaatliche Ausgrenzung, Unterstützung „sozial verletzlicher“ Gruppen und globale Umverteilung - theoretisch angeleitet verbunden. Als Datengrundlage dient eine telefonische Umfrage, die im Rahmen des Projects Solidarity in Times of Crisis (SOCRIS) 2017 durchgeführt wurde. Für die Frage zum sozialen Kontext greifen wir vorangegangene Ergebnisse und Diskussionen aus der Literatur auf, dass die soziodemographischen und sozioökonomischen Lagen zur Erklärung von Solidaritätseinstellungen und Handlungen nur geringe Erklärungskraft aufweisen. Größeren Einfluss zeigen demgegenüber die verinnerlichten, sozial geformten Weltsichten. Die „Ideologien“ im Verständnis von Stuart Hall (1986, 198), welche bisher allerdings nur vereinzelt empirisch berücksichtigt wurden. Für die Analyse des Einflusses werden in die multiple Regressionsanalysen für alle Solidaritätstypen deswegen nicht nur die soziodemographischen und sozioökonomischen Daten sondern auch mehrere Ideologieitems berücksichtigt - Autoritarismus, Leistungsideologie, soziale Dominanzorientierung, Rassismus und Nationalismus mitaufgenommen werden. Darstellung und Diskussion der empirischen Ergebnisse Die Besprechung der empirischen Ergebnisse wird durch eine Darstellung der Verteilung in der Umfragebevölkerung eingeleitet. Dabei zeigt sich, dass keine der drei Typen eine klare Mehrheit unter den Befragten auf sich vereinigen kann. Nur ein kleiner Teil der Befragten vertritt eine Vorstellung, die sich solidarisch mit allem Menschen ganz gleich ihrer Nationalität oder sozialen Lage zeigen. Aber auch nur ein kleiner Teil bekennt sich vollkommen dazu, dass nur bestimmte Gruppen solidarische Unterstützung erhalten sollen, oder lehnt Solidarität generell ab. Der dominante Einfluss von Ideologien konnte für die universelle und exkludierende Solidaritätstypen nachgewiesen werden. Tendenzen in Richtung universeller Solidarität können durch eine Ablehnung einer Leistungsideologie, sozialer Dominanzorientierung und Rassismus unabhängig des Einkommen, der finanziellen Situation des Haushalts und der Bildung nachvollzogen werden. Exklusive Solidarität wird vor allem durch eine soziale Dominanzorientierung und ausgeprägten Rassismus statistisch bedingt. Hier hat aber auch eine höhere formale Bildung einen dämpfenden und höheres Einkommen einen fördernden Einfluss. Die Bedeutung von Einkommen zeichnet Exklusion damit als ein Mittel der Bewahrung der eigenen Ressourcen aus wie es in der Literatur zu Diskriminierung auch diskutiert wird. Dies teilt die exklusive auch mit der Ablehnung von Solidarität. Ideologisch wird die Ablehnung in unseren Daten demgegenüber nur von einem Leistungsdenken geprägt. In der abschließenden Diskussion soll neben methodischen Problemen und Leerstellen die Bedeutung von Ideologien bei der Analyse von Solidaritätstypen aufbauend auf die Ergebnisse weiter herausgehoben werden. Diese können unter anderem dafür genutzt werden, die strategische Ausrichtung ideologisierender Diskurse bezüglich der Solidaritätstypen zu identifizieren. So dienen exklusive und Ablehnung von Solidarität beide der Erhaltung von eigenen Vorteilen trotz unterschiedlicher ideologischer Ausrichtungen. In politischen Auseinandersetzung wird diese Differenz gerne überspielt, um z.B. über das Thema Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen, diese generell in Frage zu stellen (siehe z.B. Faist 1995; Gilens 1999). Die Abwesenheit von rassifizierenden Ideologien und sozialer Dominanzorientierung bedeutet demgegenüber aber auch nicht unbedingt eine Zustimmung zu universeller Solidarität. Dies ähnelt eher einer Inklusion ohne Solidarität oder „neoliberalem Multikulturalismus“, wie es Kymlicka (2015) passend bezeichnet. Die ideologisierenden Diskurse zu berücksichtigen und darüber die eigenen Grundlagen zu hinterfragen, ist damit für die Arbeiter:innen- und sozialen Bewegungen generell ein wichtiges Thema, so eine Solidarität mit dem Ziel, alle Menschen gleichwertig darin aufzunehmen, als Ziel der eigenen Bemühungen gesehen wird. Literatur Elias, Norbert, und John L. Scotson. 1993. Etablierte und Aussenseiter. Baden-Baden: Suhrkamp. Faist, Thomas. 1995. Ethnicizatlon and racialization of welfare‐state politics in Germany and the USA. Ethnic and Racial Studies 18: 219–250. https://doi.org/10.1080/01419870.1995.9993862. Gilens, Martin. 1999. Why Americans hate welfare: race, media, and the politics of antipoverty policy. Studies in communication, media, and public opinion. Chicago: University of Chicago Press. Große Kracht, Hermann-Josef. 2017. Solidarität und Solidarismus: postliberale Suchbewegungen zur normativen Selbstverständigung moderner Gesellschaften. Edition Politik Band 54. Bielefeld: Transcript. Hall, Stuart. 1986. The Problem of Ideology-Marxism without Guarantees. Journal of Communication Inquiry 10: 28–44. https://doi.org/10.1177/019685998601000203. Kymlicka, Will. 2015. Solidarity in diverse societies: beyond neoliberal multiculturalism and welfare chauvinism. Comparative Migration Studies 3: 17. https://doi.org/10.1186/s40878-015-0017-4. Leibetseder, Bettina. 2016. Exkludierende Inklusion: Sozialpolitische Herstellung einer gesellschaftlichen Ordnung am Beispiel der Mindestsicherung. In Soziologie in Österreich-Internationale Verflechtungen, Hrsg. Helmut Staubmann, 1. Auflage, 241–259. Conference series. Innsbruck: Innsbruck University Press. Lessenich, Stephan. 2012. Das Anerkennungsdefizitsyndrom des Wohlfahrtsstaats. Österreichische Zeitschrift für Soziologie 37: 99–115. van Oorschot, Wim. 2000. Who should get what, and why? On deservingness criteria and the conditionality of solidarity among the public. Policy & Politics 28. The Policy Press: 33–48. Schadauer, Andreas, Carina Altreiter, Jörg Flecker, und Saskja Schindler. 2019. Sozialstaatliche Solidarität und gesellschaftliche Anerkennung von Lebenschancen. SWS-Rundschau 59: 393–412.
Zeitraum17 Okt. 2021
EreignistitelMomentum- Kongress 2021: Arbeit: Arbeit
VeranstaltungstypKonferenz
OrtHallstatt, ÖsterreichAuf Karte anzeigen
BekanntheitsgradNational