"Zone des Schweigens". Totalitarismuskritik bei Milo Dor

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Beschreibung

Günther Stocker (Universität Wien) „Zone des Schweigens“. Totalitarismuskritik bei Milo Dor. Der serbisch-österreichische Autor Milo Dor bezeichnet in seinen „autobiographischen Fragmenten“ Hitler und Stalin als seine „Paten“, die über seine Wiege gebeugt sein „Schicksal bestimmen“ sollten. Im sarkastischen Rückblick auf sein Leben trifft Dor „das moralische und politische Dilemma“ des 20. Jahrhunderts (Tony Judt), nämlich die Frage der totalitären Gewalt und ihrer historischen Ausprägungen. Und dieses Dilemma wird für ihn Antrieb und Thema seiner schriftstellerischen Arbeit. Dor wurde 1923 in Budapest als Milutin Doroslovac geboren, wuchs in Belgrad auf, wo er sich als Gymnasiast der „Kommunistischen Jugend“ anschloss und nach der Besetzung Belgrads durch die deutsche Wehrmacht im Widerstand aktiv war. 1942 wurde er verhaftet und von der serbischen Spezialpolizei, den einheimischen Helfern der Nationalsozialisten, gefoltert, danach als Zwangsarbeiter nach Wien deportiert, dort von der Gestapo verhaftet und wieder gefoltert. Noch während seiner Haft in Belgrad beginnt er an den Dogmen der KP zu zweifeln, äußert Kritik am Hitler-Stalin-Pakt und am Umgang mit sogenannten „Abweichlern“, was dazu führt, dass er aus der Partei ausgeschlossen wird. Die endgültige Enttäuschung seiner kommunistischen Utopien erfährt er dann in Wien, als er Zeuge von brutalen Übergriffen an der Zivilbevölkerung der als Befreier gekommenen Roten Armee wird. Dor blieb nach dem Krieg in Wien, wurde österreichischer Staatsbürger und begann auf Deutsch zu schreiben und zu veröffentlichen. Entgegen den dominierenden Strömungen der österreichischen Nachkriegsliteratur plädierte er von Anfang an (gemeinsam mit seinem Freund und oftmaligen Ko-Autor Reinhard Federmann) für eine „Literatur der Verpflichtung“, eine Literatur, die sich mit den „brennenden Problemen unserer Zeit“ auseinandersetzt, die „sich mit den Ursachen der Katastrophe“ beschäftigt und damit „künftigen Katastrophen entgegenarbeite(t)“. Und dies bedeutete für ihn vor allem eine Auseinandersetzung mit den totalitären Systemen des Nationalsozialismus und des Stalinismus. Ein Meilenstein war dabei sein autobiographischer Roman „Tote auf Urlaub“, für den er bezeichnenderweise in Österreich keinen Verleger fand und der nach einer zweijährigen Suche 1952 bei der Deutschen Verlagsanstalt erschien. Ein eindrucksvoller Text, mit dem sich die Literaturwissenschaft bislang kaum beschäftigt hat, obwohl er nach seinem Erscheinen viel diskutiert und breit rezensiert wurde. Ebenso vergessen ist die Erzählung „Salto mortale“, die Milo Dor im Oktober 1959 auf der Elmauer Tagung der Gruppe 47 vorgetragen hat und die 1960 in Buchform veröffentlicht wurde. Zu einem Zeitpunkt, als die Totalitarismus-Debatte ihren Höhepunkt gerade überschritten hatte, stellt Dors Text die Frage nach dem Verhältnis von individueller Freiheit und totalitärer Herrschaft mit Bezug auf Franz Kafka noch einmal neu, die eingefahrenen Schienen des Kalten-Kriegs-Diskurses verlassend. Mein Vortrag möchte diese Erzählung im Kontext von Dors antitotalitärem Schreiben diskutieren und der Frage nach ihren spezifischen literarischen und gesellschaftskritischen Strategien nachgehen.
Zeitraum27 Sept. 2013
EreignistitelSpannungsfelder. Die deutschsprachige Literatur im Kalten Krieg 1947-1968
VeranstaltungstypKonferenz
OrtWien, ÖsterreichAuf Karte anzeigen