Anomale magnetische Momente (AMM) von Leptonen spielten eine zentrale Rolle in der Etablierung der Quantenfeldtheorie zur erfolgreichen Beschreibung fundamentaler Naturgesetze. Heutzutage zählen sie nach wie vor zu den Standardobservablen sowie den am präzisest gemessenen und berechneten Größen der Teilchenphysik.
Speziell das AMM des Myons genießt ausgezeichneten Status, da es eine der wenigen Observablen darstellt, welche signifikante Diskrepanz zur jeweiligen Bestimmung aus dem Standardmodell (SM) aufweisen. Der Ursprung dieser Diskrepanz ist unbekannt, und seine Erklärung hat höchste Priorität für Teilchenphysiker weltweit. Hierfür wurden zwei neue Experimente entwickelt, um die bisher erreichte Genauigkeit von 0.54 parts per million weiter zu erhöhen, was auch verbesserte Theorievorhersagen notwendig macht.
SM-Unsicherheiten werden von virtuellen Niedrigenergieeffekten der starken Wechselwirkung dominiert, welche störungstheoretischen Methoden nicht zugänglich sind. Speziell der hadronische Light-by-Light-Beitrag (HLbL) stellt in dieser Hinsicht ein ernstzunehmendes Hindernis dar. Für dessen Berechnung wurden bisher hadronische Modelle verwendet, welche allerdings Quellen nicht zu quantifizierender, systematischer Unsicherheiten enthalten. Unlängst wurde unsererseits mittels eines neuartigen dispersiven Formalismus zur erstmaligen datengestützten Bestimmung des HLbL inklusive numerischer Abschätzungen ein theoretischer Durchbruch erzielt. Diese Art der Berechnung nützt allgemeine Prinzipien wie Unitarität und Analytizität zur rigorosen Definition des HLbL sowie zu dessen Verbindung zu experimentell zugänglichen Größen (Formfaktoren, Wirkungsquerschnitte). Ein wichtiges Problem ist die derzeit noch fehlende Inklusion von Short-Distance-Bedingungen in unserem Formalismus. Das vorliegende Projekt dient der Schließung dieser Lücke.
Unter Verwendung von perturbativen und nicht-perturbativen Techniken der Quantenfeldtheorie werden erstmals alle Bedingungen an HLbL von kinematischen Konfigurationen mit als groß angenommenen Lorentzinvarianten herausgearbeitet. Alle potenziell möglichen Hierarchien der Invarianten werden betrachtet. Die Bedeutung dieser Bedingungen für die Bestimmung des AMM des Myons wird über detaillierte numerische Analyse bewertet. Theoretische Leitlinien für kontrollierte Interpolationen zwischen allen relevanten kinematischen Regimen mittels konsistenter Dispersionsrelationen für HLbL werden ebenso bereitgestellt wie systematische Studien der Rolle von hadronischen Resonanzen in diesem Kontext.
Das vorliegende Forschungsprojekt stellt einen wesentlichen Schritt Richtung Vollendung unserer datengestützten Bestimmung des HLbL mit kontrollierten Unsicherheiten dar, mit dem Ziel einer ausreichend hohen Genauigkeit, um bevorstehende Messungen des myonischen AMM zu entscheidend stringenten Tests des SM zu machen.