Abstract
Der Wiener Schlachthof St. Marx 1851–1914, Lukasz Nieradzik:
Die Studie befasst sich mit der Transformation der fleischhandwerklichen Arbeitswelt von der zweiten Hälfte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts am Beispiel des Wiener Schlachthofes St. Marx. Dieser wird als paradigmatischer Ort verstanden, an dem sich wirtschaftlicher, politischer und soziokultureller Wandel en miniature zeigte. Die Multidimensionalität der Transformation legt einen multiperspektivischen Untersuchungsansatz nahe. Die Analyse der beruflichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kontexte des Schlachthofes wird mit einer mikroskopischen Perspektivierung des Untersuchungsgegenstandes verbunden, die ein raumtheoretisches, machtanalytisches und körperhistorisches Verfahren umfasst.
Entworfen wird eine historische Kulturanalyse der Relationen, die den Schlachthof St. Marx aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht. Gefragt wird nach den Zusammenhängen von Raumordnungen, Arbeitspraktiken und Disziplinierungen, zwischen der Technisierung der Arbeit und dem Wandel fleischhandwerklicher Arbeitsethik sowie dem Körperwissen und den Körperpraktiken der historischen Akteure im Kontext arbeitsorganisatorischer Veränderungen. Es wird gezeigt, dass infolge der Einführung des sogenannten Schlachthauszwanges und der Bündelung der Tierschlachtungen an der städtischen Peripherie diese Arbeit zunehmend gesellschaftlich unsichtbar wurde und der Schlachthof und Viehmarkt St. Marx sich in verborgene Versorgungszentren der wachsenden Großstadt verwandelten. Dabei fand das Arbeiten im Schlachthof aufgrund baulicher Veränderungen zunehmend kontrolliert statt und war in vielfältige Disziplinierungsprozesse verflochten.
Wiewohl Arbeit auch immer mehr technisiert und verwissenschaftlicht wurde, bestanden handwerkliche Arbeitsformen im gesamten Untersuchungszeitraum fort, weil handwerkliches Know-how, fehlende technische Möglichkeiten und der Widerstand von Fleischern einer umfassenden Technisierung Grenzen setzten. Gezeigt wird in diesem Zusammenhang, inwiefern sich die fleischhandwerkliche Arbeitsethik und die Vorstellungen von Wiener Fleischern über Grausamkeit und „Humanität“ in der Tierschlachtung veränderten. Schließlich untersucht die Studie die körperhistorische Dimension der Transformation aus einer Perspektive, die den Zusammenhang von Körperwissen, Körperpraktiken, Körperbildern und Körpererfahrungen akzentuiert. Der Untersuchungszeitraum markiert einen medizinischen Paradigmenwechsel von der Humoral- zur Zellularpathologie, der Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit umwälzte, das Körpererleben von Fleischern tief erschütterte und den Blick auf Tiere grundlegend veränderte. Es wird gezeigt, dass das Wohlbefinden beim Arbeiten maßgeblich vom Arbeitsumfeld und von idealisierten Körperbildern abhing, in denen sich Vorstellungen vom Männlichen in Relation zum Weiblichen und Animalischen verdichteten. Obwohl sich der Fleischerberuf um 1900 allmählich auch für Frauen öffnete, blieb das Handwerk im gesamten Untersuchungszeitraum eine von hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen dominierte Arbeitswelt.
Die Untersuchung beschreibt den kommunalen Schlachthof als ein typisches Phänomen der Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die beruflichen, ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und technologischen Transformationen, die sich in ihm verdichteten, die er katalysierte und symbolisierte, sind von einer ungeheuren historischen Tragweite, weil sie das Fundament und Gewordensein gegenwärtiger Versorgungspolitiken nachvollziehbarer machen.
Die Studie befasst sich mit der Transformation der fleischhandwerklichen Arbeitswelt von der zweiten Hälfte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts am Beispiel des Wiener Schlachthofes St. Marx. Dieser wird als paradigmatischer Ort verstanden, an dem sich wirtschaftlicher, politischer und soziokultureller Wandel en miniature zeigte. Die Multidimensionalität der Transformation legt einen multiperspektivischen Untersuchungsansatz nahe. Die Analyse der beruflichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kontexte des Schlachthofes wird mit einer mikroskopischen Perspektivierung des Untersuchungsgegenstandes verbunden, die ein raumtheoretisches, machtanalytisches und körperhistorisches Verfahren umfasst.
Entworfen wird eine historische Kulturanalyse der Relationen, die den Schlachthof St. Marx aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht. Gefragt wird nach den Zusammenhängen von Raumordnungen, Arbeitspraktiken und Disziplinierungen, zwischen der Technisierung der Arbeit und dem Wandel fleischhandwerklicher Arbeitsethik sowie dem Körperwissen und den Körperpraktiken der historischen Akteure im Kontext arbeitsorganisatorischer Veränderungen. Es wird gezeigt, dass infolge der Einführung des sogenannten Schlachthauszwanges und der Bündelung der Tierschlachtungen an der städtischen Peripherie diese Arbeit zunehmend gesellschaftlich unsichtbar wurde und der Schlachthof und Viehmarkt St. Marx sich in verborgene Versorgungszentren der wachsenden Großstadt verwandelten. Dabei fand das Arbeiten im Schlachthof aufgrund baulicher Veränderungen zunehmend kontrolliert statt und war in vielfältige Disziplinierungsprozesse verflochten.
Wiewohl Arbeit auch immer mehr technisiert und verwissenschaftlicht wurde, bestanden handwerkliche Arbeitsformen im gesamten Untersuchungszeitraum fort, weil handwerkliches Know-how, fehlende technische Möglichkeiten und der Widerstand von Fleischern einer umfassenden Technisierung Grenzen setzten. Gezeigt wird in diesem Zusammenhang, inwiefern sich die fleischhandwerkliche Arbeitsethik und die Vorstellungen von Wiener Fleischern über Grausamkeit und „Humanität“ in der Tierschlachtung veränderten. Schließlich untersucht die Studie die körperhistorische Dimension der Transformation aus einer Perspektive, die den Zusammenhang von Körperwissen, Körperpraktiken, Körperbildern und Körpererfahrungen akzentuiert. Der Untersuchungszeitraum markiert einen medizinischen Paradigmenwechsel von der Humoral- zur Zellularpathologie, der Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit umwälzte, das Körpererleben von Fleischern tief erschütterte und den Blick auf Tiere grundlegend veränderte. Es wird gezeigt, dass das Wohlbefinden beim Arbeiten maßgeblich vom Arbeitsumfeld und von idealisierten Körperbildern abhing, in denen sich Vorstellungen vom Männlichen in Relation zum Weiblichen und Animalischen verdichteten. Obwohl sich der Fleischerberuf um 1900 allmählich auch für Frauen öffnete, blieb das Handwerk im gesamten Untersuchungszeitraum eine von hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen dominierte Arbeitswelt.
Die Untersuchung beschreibt den kommunalen Schlachthof als ein typisches Phänomen der Moderne im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Die beruflichen, ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und technologischen Transformationen, die sich in ihm verdichteten, die er katalysierte und symbolisierte, sind von einer ungeheuren historischen Tragweite, weil sie das Fundament und Gewordensein gegenwärtiger Versorgungspolitiken nachvollziehbarer machen.
Originalsprache | Deutsch |
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Erscheinungsort | Wien, Köln |
Verlag | Böhlau: Wien / Köln /Weimar |
Seitenumfang | 312 |
ISBN (Print) | 978-3-205-20595-1 |
Publikationsstatus | Veröffentlicht - 2017 |
Publikationsreihe
Reihe | Ethnographie des Alltags |
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Band | 2 |
ÖFOS 2012
- 601016 Österreichische Geschichte
- 605004 Kulturwissenschaft