Abstract
Flucht und Migration lösen in den Gesellschaften, in denen die Menschen ankommen, oft starke, emotionale und sehr unterschiedliche Reaktionen aus, die vom Willkommen der ankommenden Menschen bis hin zu deren massiven Ablehnung reichen. Warum ist das so? Ist es alleine die Umgebung, unsere Erziehung, die uns so unterschiedlich auf die „Anderen“ reagieren lässt, oder gibt es dafür auch einen evolutionären Hintergrund? Neue archäologische, archäogenetische und verhaltensgenetische Daten ebenso wie evolutionäre Annahmen, und auch eigene Untersuchungen legen nahe, dass die individuellen Unterschiede unseres „in-group“- vs. „out-group“-Verhaltens, d. h. unserer Haltung gegenüber der „eigenen Gruppe“ vs. „den Anderen“, auch eine evolutionäre/genetische Basis haben. So wie das bei vielen anderen Einstellungen und Verhaltensweisen auch der Fall ist, sind wir also nicht so frei, wie wir glauben. Der Ursprung dieser individuellen Unterschiede liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in unserem jahrtausendelangen Leben in Kleingruppen, in der andere Gruppen immer beides sein konnten: gefährliche Feinde und Konkurrenten um Ressourcen auf der einen Seite, aber auch überlebenswichtige Partner für den genetischen und kulturellen Austausch auf der anderen Seite. Betrachtet man unsere xenophile vs. xenophobe Einstellung aus dieser evolutionären Sicht, waren daher beide Einstellungen für unser Überleben in Kleingruppen im Laufe unserer Evolution wichtig und sinnvoll: eine eher xenophobe Einstellung, die vor den Gefahren der Begegnung zwischen Gruppen gewarnt hat, ebenso wie eine xenophile Einstellung, die für den genetischen und kulturellen Austausch über Gruppengrenzen hinweg gesorgt hat. Das vorliegende Kapitel beleuchtet die evolutionären und verhaltensgenetischen Grundlagen dieses, unsere modernen Gesellschaften so stark spaltenden Themas.
Original language | German |
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Title of host publication | Evolutionäre Sozialwissenschaften. Ein Rundgang |
Publisher | Springer |
Publication status | Published - Jun 2024 |
Austrian Fields of Science 2012
- 106018 Human biology